Klage vor Verfassungsgericht: Was soll Sachsens Polizei dürfen?

Das sächsische Polizeigesetz gilt seit fast vier Jahren. Jetzt muss der Verfassungsgerichtshof in Leipzig entscheiden, ob Grundrechte beschnitten werden. Worum es im Mammutverfahren geht.

Leipzig. Am sächsischen Verfassungsgerichtshof beginnt am Donnerstag eine wegweisende Verhandlung: Mit einer Klage sollen wesentliche Punkte des Polizeigesetzes gekippt werden. Dabei geht es um die Frage, was die Beamtinnen und Beamten dürfen sollen – und was ihnen künftig möglicherweise untersagt wird. Hier sind die wichtigsten Punkte im Überblick.

Die Klage

Das Polizeigesetz war 2019 mit den Stimmen der damaligen Regierungsfraktionen von CDU und SPD beschlossen worden. Daraufhin hatten 35 Landtagsabgeordnete der Linken und der – noch oppositionellen – Grünen eine Klage beim Verfassungsgerichtshof eingereicht. Sie beantragten, große Teile der neuen Polizeibefugnisse für nichtig zu erklären. Das Gericht hat nun, nach einer längeren schriftlichen Prüfung, für diesen Donnerstag und Freitag zunächst zwei Verhandlungstage angesetzt. Bis zu einer Entscheidung dürften aber zwei bis drei Monate vergehen.

Die Tragweite verdeutlicht Valentin Lippmann, der innenpolitische Sprecher der grünen Landtagsfraktion: „Erstmals seit den 1990er-Jahren wird sich der Verfassungsgerichtshof wieder ganz grundsätzlich mit der Frage auseinandersetzen, wie stark in einem freiheitlichen Rechtsstaat die Freiheit zugunsten vermeintlicher Sicherheit eingeschränkt werden darf.“

Die Kritik

Es werden vor allem vier Komplexe als „verfassungsrechtlich problematisch“ angesehen. So sind die Hürden für die Überwachung sowohl von Personen – etwa für das Abhören, die Ortung oder die Observation – als auch von öffentlichen Räumen gesenkt worden. „Jetzt wird nicht mehr anhand möglicher Straftaten entschieden. Es genügt, dass eine Person in Zukunft eine Straftat begehen könnte“, erklärt der Verfassungsrechtler Matthias Bäcker, der Prozessbevollmächtigte von Linken und Grünen. Seine Kritik lautet: „Das bringt potenziell alle Bürgerinnen und Bürger ins Visier.“ Dagegen ist die sogenannte Quellen-TKÜ, bei der Nachrichten etwa über Whatsapp schon vor der Verschlüsselung angezapft werden, weiterhin untersagt.

 

Darüber hinaus bezeichnen die Kläger die Möglichkeiten für Datenspeicherungen, Kfz-Kennzeichenerfassungen und auch Gesichtserkennungen als „ausufernd“: Es würden kaum Grenzen gesetzt. „Schon zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, etwa in der Nähe einer Demonstration oder einer zur Fahndung ausgeschriebenen Person, könnte uns auf Dauer in die polizeilichen Datensammlungen bringen“, warnt der ehemalige Linke-Landtagsabgeordnete Enrico Stange, der die Klage miteingereicht hat.

Die Befugnisse

Außerdem geht es – so die vierte wesentliche Kritik – um „pauschale“ Anordnungen etwa von Aufenthaltsverboten, Kontaktsperren oder elektronischen Fußfesseln: Es genüge die „vage Prognose“, dass jemand beispielsweise die öffentliche Ordnung gefährden könnte, meint der Innenexperte Stange: „Polizeiliche Eingriffsbefugnisse werden weit ins Vorfeld konkreter Gefahren verlagert.“ So ließen sich die entsprechenden Paragrafen auch vor Demonstrationen oder für Aktionen der Letzten Generation anwenden.

Dagegen verteidigt Landespolizeipräsident Jörg Kubiessa das Polizeigesetz, das nun seit fast vier Jahren angewendet wird: „Die Instrumente dienen unserem Auftrag der Gefahrenabwehr: Maßnahmen zu ergreifen oder Ursachenketten zu beeinflussen, um die mit drohenden Straftaten verbundenen Gefahren zu verhüten.“ Hinter allen juristischen Debatten müsse aber allen klar sein, sagt Kubiessa: „Es geht um eine fundamentale Aufgabe des Staates – die Gewährleistung der inneren Sicherheit.“ Letztendlich werde das Gericht entscheiden, „ob das Gesetz verbessert werden muss und wenn ja wo“.

 

Die Parallelen

Vor 27 Jahren ist schon einmal ein sächsisches Polizeigesetz vor dem Verfassungsgerichtshof gescheitert. Das betraf insbesondere sogenannte Vorfeldermittlung gegen sich abzeichnende Straftaten, für die die Richter die Befugnisse der Polizei entscheidend beschnitten. Damals hatten die SPD und die Grünen eine Verfassungsklage eingereicht.

Ein Resultat war auch: Der große Lauschangriff, also das Abhören in oder aus Wohnungen, durfte „nicht mehr schon im Vorfeld des Entstehens einer Situation eingesetzt werden, in der sich die polizeiliche Aufgabe der Gefahrenabwehr stellt“, so das Verfassungsgericht. Daneben ging es auch um Rasterfahndungen und vorbeugenden Gewahrsam.